- Wirtschaftsnobelpreis 1988: Maurice Allais
- Wirtschaftsnobelpreis 1988: Maurice AllaisDer französische Ökonom erhielt den Nobelpreis für »seine bahnbrechenden Beiträge zur Theorie der Märkte und der effizienten Ressourcennutzung«.Maurice Félix Charles Allais, * Paris 31. 5. 1911; 1931-33 Studium an der École Polytechnique (Paris), 1934-36 Ausbildung an der École National Supérieure des Mines in Paris, 1937-43 Leiter der Dienststelle der staatlichen Bergbauverwaltung in Nantes, 1939-40 Kriegsdienst, 1943-48 Direktor des Büros für Dokumentation und Statistik der Gruben in Paris, seit 1944 Lehrtätigkeit als Professor an der École National Supérieure des Mines.Würdigung der preisgekrönten LeistungIm Rahmen der ökonomischen Wissenschaft beschäftigte sich Maurice Allais mit der Erforschung der Bedingungen gesamtwirtschaftlicher Effizienz und mit der Analyse der Bestimmungsfaktoren der Einkommensverteilung. Auf nationaler Ebene befasste sich Allais mit so unterschiedlichen Themen wie der Besteuerung, der Geldpolitik, der Bergbauforschung sowie der Energie- und Transportwirtschaft. Zudem interessierte er sich aufgrund seiner Tätigkeit in internationalen Organisationen für die internationalen Determinanten der Wirtschaftsentwicklung, die Liberalisierung des internationalen Handels, den monetären Sektor in internationalen Wirtschaftsbeziehungen und Wirtschaftsgemeinschaften.Interdisziplinäre ForschungIn den 1940er-Jahren lieferte Allais seinen ersten Beitrag zur Weiterentwicklung der Arbeiten von Walras und Pareto, indem er allgemeine mathematische Formulierungen des Marktgleichgewichts und der Effizienzeigenschaften von Märkten fand. Auf der Grundlage mathematischer Modelle des Planungs- und Wahlverhaltens von Haushalten und Unternehmen leitete er eine allgemeine Formulierung für die Bedingungen eines Marktgleichgewichts ab. In dieser Zeit entstanden mehrere bedeutenden Arbeiten, in denen Allais unter anderem die beiden Hauptsätze der Wohlfahrtstheorie mathematisch ausformulierte. Danach ist eine ökonomische Situation mit Gleichgewichtspreisen dann gesellschaftlich effizient, wenn keiner mehr besser gestellt werden kann ohne einen anderen schlechter zu stellen, das heißt, Marktgleichgewichte sind immer pareto-effizient. Der zweite Hauptsatz besagt, dass der Marktmechanismus beliebige Allokationen dezentralisieren kann, wenn eine geeignete Umverteilung der Erstausstattung vorgenommen wird. Die Sätze sind nicht nur für die Grundlagenforschung wichtig, sondern gelten auch als Leitlinien für die Festlegung von Preisen im öffentlichen Sektor anstelle einer direkten Regulierung. Durch eine weitere Verallgemeinerung, bei der Fälle mit unterschiedlichen Skalenerträgen berücksichtigt wurden, konnte Allais die Existenz natürlicher Monopole ableiten. Damit legte er den Grundstein für die ökonomische Schule der Nachkriegszeit in Frankreich, die nicht nur die Bedingungen für eine effiziente Ressourcennutzung in öffentlichen Monopolen (wie der Electricité de France oder der staatlichen Eisenbahn SNCF) untersuchte, sondern in zahlreichen Beispielen die Theorie auch auf die Unternehmensführung anwandte.Allais nutzte die neuen mathematischen Methoden ebenfalls, um die Stabilität von Gleichgewichten nachzuweisen, das heißt, er stellte Bedingungen auf, unter denen eine Ökonomie nach einem Schock mit Hilfe des Preismechanismus wieder zum Gleichgewicht zurückfindet.Das »Allais-Paradoxon«Allais leistete auf anderen Gebieten der Wirtschaftsforschung ebenfalls Pionierarbeit. In seinen frühen Arbeiten führte er theoretische und empirische Studien über die Bedeutung und die Determinanten der Geldmenge durch und gilt daher als Gründer der monetären makrodynamischen Analyse. Bekannt wurde Allais auch durch seine Arbeiten zur Risikotheorie, insbesondere durch das »Allais-Paradoxon« im Bereich der Entscheidungstheorie unter Unsicherheit. Er konnte nachweisen, dass die Erwartungshypothese unter Risiko und Unsicherheit eine starke Einschränkung an das beobachtete Verhalten stellt. Die Präferenzen der Entscheidungsträger sind nicht mehr konsistent mit dem Erwartungsnutzentheorem, da die Differenzen in den Wahrscheinlichkeiten für den Eintritt unterschiedlicher Umweltzustände zu gering sind, um wahrgenommen zu werden. Das Substitutionsaxiom für die Erwartungsnutzenfunktion, das die Unabhängigkeit von irrelevanten Alternativen fordert, ist in solchen Situationen nicht mehr erfüllt.Die parallelen Interessen von AllaisAllais schlug bei seinen Arbeiten eine Brücke von der Ökonomie zu anderen Wissenschaften wie der Psychologie, der Soziologie, der politischen Wissenschaft, der Physik und der Geschichte und versuchte, einen fächerübergreifenden theoretischen Erklärungsansatz zu entwickeln. Seine Begeisterung für die Geschichte veranlasste ihn, aus der Geschichte der Zivilisation dauerhafte quantitative Regelmäßigkeiten aus ökonomischen und sozialen Faktoren abzuleiten. Seine Bemühungen galten vor allem dem Ziel, die Grundlagen für eine möglichst stabile Wirtschafts- und Sozialpolitik zu schaffen. In seinem Buch »Essor et déclin des civilisations — Facteurs économiques« (franz.; Aufstieg und Niedergang von Zivilisationen — Ökonomische Faktoren) beschäftigt er sich mit Wirtschaftssystemen, Lebensstandards, Technologien und monetären Phänomenen, aber auch mit demographischen Faktoren, den jeweiligen Einflüssen von Erbgut und Umwelt sowie unter anderem mit den exogenen physikalischen Einflüssen auf menschliche Gesellschaften und politische Systeme.In den 1950er-Jahren forschte Allais auf dem Gebiet der Physik. Er suchte nach einem Zusammenhang zwischen Gravitation und Magnetismus anhand des parakonischen Pendels (ein etwa ein Meter langes Pendel, an dem eine Metallkugel hängt). Gerät das Pendel in Schwingung, kann man eindeutig die Erdrotation nachweisen. Für den Beobachter, der sich mit um die Erdachse bewegt, scheint es jedoch, als ob das Pendel auf der Erde kreist beziehungsweise sich die Schwingungsebene des Pendels selbst dreht. Während der totalen Sonnenfinsternisse 1954 und 1959 konnte Allais feststellen, dass sich der Winkel, um den sich das Pendel auf seiner Kreisbahn bewegte, vergrößerte. Er führte diese Reaktion entweder auf eine kurzfristige Erhöhung der Erdanziehungskraft oder auf eine erhöhte Erdbeschleunigung zurück. Zahlreiche Versuche anderer Wissenschaftler folgten. Der so genannte »Allais-Effekt« konnte dabei nicht immer beobachtet werden.Allais war Mitbegründer der liberalen Organisation »Bewegung für eine Freie Gesellschaft«, Mitglied in zahlreichen wissenschaftlichen Vereinigungen und Mitherausgeber der internationalen Zeitschrift »Econometrica«. Er erhielt zahlreiche Preise, darunter die Goldmedaille des nationalen Zentrums für wissenschaftliche Forschung, die höchste Ehrung in der französischen Wissenschaft.R. Fuess, G. Vorsatz
Universal-Lexikon. 2012.